Barrierefreiheit im Fernbus: BSK schickt Mobilitätsscouts auf Testfahrt

Barrierefreiheit im Fernbus: BSK schickt Mobilitätsscouts auf TestfahrtBeim Thema Barrierefreiheit im Fernbus scheiden sich die Geister: Während die meisten Fernbus-Anbieter die gesetzlichen Rahmenbedingungen für unrealistisch halten, fordern zahlreiche Behindertenverbände mehr Entgegenkommen und vor allem klarer definierte Maßstäbe. Zwar wurde das Personenbeförderungsgesetz schon mit der Liberalisierung des Marktes im Jahr 2013 um entsprechende Paragraphen ergänzt, doch ist die Reise mit dem Fernbus noch immer nicht für alle Reisende ohne Mehraufwand oder Probleme möglich. Um den aktuellen Stand der Barrierefreiheit einmal genauer unter die Lupe zu nehmen, beauftragte der Bundesverband Selbsthilfe Körperbehinderter e. V. das Institut für Antidiskriminierungs- und Diversityfragen der Evangelischen Hochschule Ludwigsburg mit einem groß angelegten Projekt. Für dieses wurden auch drei behinderte Reisende mit unterschiedlichen Bedürfnissen – sogenannte Mobilitätsscouts – auf Testfahrt geschickt.

Rechtliche Rahmenbedingungen

Das Personenbeförderungsgesetz sieht vor, dass seit Januar 2016 alle erstmalig zugelassenen Fernbusse auf Deutschlands Straßen mit zwei Rollstuhlstellplätzen ausgestattet sein müssen. Ab Januar 2020 wird diese Regelung auch auf ältere Fahrzeuge ausgeweitet. Viele Behindertenverbände bemängeln allerdings, dass es ferner keine klaren Definitionen gibt: So sind beispielsweise Einstiegsmöglichkeiten nicht einheitlich geregelt und auch für die Zugänglichkeit der Toilette sieht das Gesetz keine Regelungen vor.

Mehr Informationen zum Thema: Barrierefreiheit im Fernbus

Erfahrungsberichte: Fahrgäste mit Behinderung auf Testfahrt im Fernbus

1. Testfahrt: Fahrgast mit Sehbehinderung
Erfahrungsberichte: Fahrgäste mit Behinderung auf Testfahrt im FernbusHerr Schilling ist ein Mobilitätsscout mit Sehbehinderung und stieß bereits vor der FlixBus-Fahrt von Konstanz über Hamburg nach Bremen auf die ersten Probleme. Weder die Abfahrtshaltestelle noch der moderne ZOB in Hamburg waren mit entsprechenden Leitlinien ausgestattet. Auch die Knöpfe im Fahrstuhl waren nicht mit Blindenschrift markiert und erschwerten es dem Fahrgast so, sich eigenständig zu orientieren. Der Beginn der Fahrt selbst war hingegen weniger problematisch und auch der zuvor angemeldete Blindenführhund Merlin fand schnell einen geeigneten Platz im Bus. Weniger erfreulich war allerdings, dass die beiden Fahrer während der Reise nicht auf die Bedürfnisse des blinden Fahrgastes eingingen: Weder an den Haltestellen noch während einer kurzen Pause wurde eine Durchsage gemacht, was Herr Schilling vermuten ließ, der Bus stünde im Stau. Aufgrund einer deutlichen Verspätung war der Mobi-Scout so auf die Standortrecherche seines Smartphones angewiesen.

2. Testfahrt: Mobilitätseingeschränkter Fahrgast – Umsetzen auf normalen Sitzplatz
Bei Herrn Remsperger handelt es sich um einen sogenannten „Umsetzer“, also einen Fahrgast, der zwar auf den Rollstuhl angewiesen ist, jedoch für die Fahrt auf einen normalen Sitzplatz wechseln kann. Wie bereits im Falle von Herr Schilling stieß auch Herr Remsperger an der Haltestelle auf Hindernisse: Nicht alle Bussteige am ZOB in Berlin sind ebenerdig und so war teils das Ausweichen auf die Fahrbahn nötig. Für seine Fahrt von Berlin nach Dresden entschied er sich für ein Angebot des Busunternehmens FlixBus und meldete die Mitnahme des Rollstuhls zuvor ordnungsgemäß an. Allerdings waren die Busfahrer nicht darüber informiert und gaben sich entsprechend unbeholfen im Umgang mit dem Sperrgepäck. Dies zeigte sich besonders am Ziel, als das Ausladen des Rollstuhls verhältnismäßig lange dauerte und Herr Remsperger die Wartezeit stehend verbringen musste. Besser wäre es in diesem Fall gewesen, dem Fahrgast anzubieten, weiter sitzen zu bleiben bis der Rollstuhl ausgeladen ist.

3. Testfahrt: Mobilitätseingeschränkter Fahrgast mit e-Rollstuhl – Umsetzen auf normalen Sitzplatz
Beim letzten Mobilitätsscout handelt es sich um Frau Gundler, die einen e-Rollstuhl nutzt, jedoch wie Herr Remsperger für die Fahrt auf einen normalen Sitzplatz wechseln kann. Begleitet wurde sie von ihrem Ehemann. Für die Anreise zur etwas weiter entfernten Bushaltestelle entschied sich das Ehepaar für den eigenen PKW, da die Fahrt mit dem öffentlichen Nahverkehr mehrere Umstiege erfordert hätte. In Singen angekommen, sollte es mit DeinBus.de nach Tübingen gehen. Auch in diesem Fall wurde die Mitnahme des Rollstuhls im Gepäckraum zuvor angemeldet, doch anders als im zweiten Beispiel waren die beiden Busfahrer bestens auf die besonderen Bedingungen vorbereitet. So war der e-Rollstuhl schnell auseinandergebaut und verstaut. Als das Ehepaar am Ziel angekommen war, kümmerte sich der zweite Fahrer bereits um das Entladen des Rollstuhls, so dass dieser schon bereitstand als Frau Gundler aus dem Bus ausstieg. Beide Fahrer erkundigten sich außerdem, ob die Fahrt zufriedenstellend verlaufen sei. Der Bericht des BKS beschreibt die Fahrt dementsprechend als „ideale Fernbusreise für eine mobilitätseingeschränkte Person“.

Nachholbedarf und Verbesserungsvorschläge

Insgesamt führten die Erfahrungsberichte der Mobi-Scouts sowie weitere Befragungen behinderter Fahrgäste zu dem Urteil, dass eine Fernbus-Reise noch lange nicht für alle Fahrgäste problemlos möglich sei. Ein großes Problem stellt dabei vor allem die Infrastruktur dar, die nur in den seltensten Fällen an die Bedürfnisse von behinderten Reisenden angepasst ist. Besonders betont wurde, dass sehbehinderte Reisende mehr in den Fokus rücken sollten: Taktile Leitsysteme sowie regelmäßige Durchsagen und Wegweiser in Braille-Schrift seien für das selbstständige Reisen dringend erforderlich.

Im Rahmen des Projekts wurde nicht nur der Austausch mit Fahrgästen, sondern auch das Gespräch mit Busanbietern gesucht. Jedoch erklärte sich lediglich die Bahn-Tochter Berlin Linien Bus, die im Herbst vergangenen Jahres den Betrieb einstellt hat, zum ausführlichen Interview bereit. Der Anbieter erklärte sich dabei mit den gesetzlichen Rahmenbedingungen unzufrieden: Die Installation zweier Rollstuhlstellplätze sei kostenintensiv und vor allem dahingehend problematisch, da nur eine sehr geringe Anzahl der Rollstühle die gesetzlichen Anforderungen für die Beförderung im Fernbus erfüllen würden. So wäre selbst nach dem Umbau aller Fahrzeuge ein Großteil der Reisenden mit Behinderung von der Fahrt ausgeschlossen. Als Alternative solle man sich daher stärker auf Fahrgäste fokussieren, die sich auf einen normalen Sitzplatz umsetzen können, was laut Berlin Linien Bus auf rund 80 Prozent der Rollstuhlnutzer zutrifft. Auch wurde angemerkt, dass ein barrierefreies Gesamtnetz eher erstrebenswert sei als eine barrierefreie Flotte: So könnte der Fernbus-Anbieter auf Anfrage einen Fernbus mit Rollstuhlstellplatz zur Verfügung stellen, wo dieser gerade benötigt wird, statt alle Fahrzeuge umrüsten zu müssen.

Den ausführlichen Bericht können Sie auf den Seiten des BSK nachlesen.

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